Trauma und Gedächtnis by Levine Peter A

Autor:Levine, Peter A.
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Kösel Sach-/Fachbuch
veröffentlicht: 2016-05-05T16:00:00+00:00

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Zwei Fallbeispiele im Detail

Baby Jack

Eine Zusammenführung von Mutter und Kind

Jack ist ein aufgewecktes und energiegeladenes Kleinkind, doch gleichzeitig so scheu und zurückhaltend, dass es schmerzt, ihm zuzusehen. Er war von jemandem im Kollegenkreis zu mir geschickt worden, da er eine sehr schwierige Geburt hinter sich hatte und nun offenbar mit den Folgen dieses Traumas zu kämpfen hatte. Jack war in Beckenendlage mit dreifach um seinen Hals gewickelter Nabelschnur zur Welt gekommen und sein Kopf hatte am oberen Rand der Gebärmutter festgesteckt. Mit jedem Abstoßen seiner winzigen Füße und Beine verkeilte sich sein Kopf noch mehr und die Schlinge um seinen Hals zog sich weiter zu – eine »ausweglose« Tortur, die entsetzliche Urängste vor einem Erstickungstod auslöste, wie die meisten Erwachsenen es sich kaum vorstellen können.43 Während des Notfall-Kaiserschnitts stellten die Ärzte fest, dass Jack in großer Gefahr war: Seine Herzfrequenz war drastisch abgefallen, Indiz für eine lebensbedrohliche Situation. Zum Kaiserschnitt hinzu kam ein gewaltsamer Einsatz der Saugglocke, der erforderlich wurde, um Jacks Köpfchen vom oberen Rand der Gebärmutter zu befreien. Seine Ankunft auf dieser Welt war von Klinikpersonal begleitet, das ihn unsanft hin- und herschob, ihn mit Nadeln traktierte, Infusionen legte, aggressive Untersuchungen vornahm und hektische Interventionen durchführte.

Mit seinen mittlerweile 14 Monaten sollte Jack nun auf einen weiteren invasiven Eingriff vorbereitet werden, um seine zeitweise auftretende gastrische Refluxstörung (»Sodbrennen«) näher zu diagnostizieren. Seine Mutter, Susan, hielt sich pflichtschuldig an die Empfehlungen des Kinderarztes und hatte für zwei Wochen nach unserer ersten Sitzung eine Endoskopie vereinbart. Sosehr sie die Gründlichkeit des Kinderarztes schätzte, so hoffte Susan doch auf eine andere Lösung, die nicht invasiv und nicht potenziell traumatisierend wäre. Mit dieser Hoffnung erschien sie also im Spätherbst 2009 an meiner Praxistür.

Jack saß rittlings auf der Hüfte seiner Mutter, als ich bei ihrem zweiten Klopfen die Tür öffnete. Sie wirkte etwas betreten, als sie – plötzlich ins Leere klopfend – mit unfreiwilligem Schwung über die Schwelle und in meine Praxis stolperte. Nachdem sie sich wieder gefasst und den Kleinen auf ihrer Hüfte zurechtgerückt hatte, stellte sie sich selbst und Jack vor. Wie sie so über den Flur gingen, fiel mir eine Unbeholfenheit in der Balance zwischen Mutter und Sohn auf. Ich hätte diese als allgemeines Unbehagen angesichts einer neuen Umgebung, eines noch unvertrauten Fremden und einer unbekannten Therapieform abtun können. Aber es schien mir etwas Grundlegenderes: Da war ein elementarer Missklang im gegenseitigen Rhythmus der beiden.

Wenn die Verbindung zwischen Baby und Mutter gestört ist, geht man oft davon aus, es läge daran, dass sie als Bezugsperson es nicht geschafft hatte, ein Umfeld zu schaffen, das »gut genug« war, um eine Bindung zu ermöglichen. Das trifft allerdings nicht immer zu, und so war es eindeutig auch bei Susan. Sie war ernsthaft und liebevoll bemüht, dem Kleinen Trost, Unterstützung und Aufmerksamkeit zu geben. Hier war es vielmehr die traumatische Geburt, die beide gebeutelt und einen Keil zwischen sie getrieben hatte. Die daraus resultierende »Schockwelle« beeinträchtigte alle beide in ihrem Vermögen, an den intimsten Momenten des anderen teilzuhaben und eine vollständige Bindung einzugehen.

In meiner Praxis

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